Es ist alles Malerei
griffelkunst: Dein Thema ist Malerei, was treibt Dich an?
Birgit Brandis: Ein Antrieb ist die Experimentierlust, das Spiel mit dem Material – dem Träger und der Farbe. Ich bin neugierig auf das Material, wie es aufgrund seiner spezifischen Eigenschaften in den Arbeitsprozess einwirkt. Ich begreife es als ein Gegenüber, mit einem eigenen Willen, der dann mit meinem Willen konfrontiert wird und den ich durch meine Regie schließlich versuche zu beeinflussen und zu formen und bewusst in meinem Sinne einzusetzen. Ein Balancieren zwischen Ordnung und Chaos. Ich male mit Acrylfarbe, die ich sehr flüssig einsetze, in vielen miteinander verwobenen Schichten. Ich beobachte dabei viel, zum Beispiel die Trocknungsprozesse, wie man die flüssige Farbe durch Bewegung des Bildträgers beeinflussen kann oder wie sich die Pigmentierung bei nachträglich aufgebrachter Flüssigkeit verhält. Bei manchen Farbprodukten führt das zu Ausblühungen der Pigmente, eigentlich ein Qualitätsmangel, den ich bewusst einsetze. Oder ich bringe gezielt punktuell Farbe auf, verdünne die schon aufgebrachte Farbe noch einmal mit Wasser, trage getrocknete Farbe ab und lege darunterliegende Schichten wieder frei. In meiner Arbeit kommen auch häufig artfremde Hilfsmittel zum Einsatz, die ich im Baumarkt oder im Küchenbedarf für mich entdeckt habe und mit denen ich meine Bilder bearbeite. So lote ich die Grenzen aus: Was übernimmt der Zufall, wo schreite ich lenkend ein. Ein bisschen wie eine Forscherin, die mit unbekannten Materialien arbeitet und dabei immer neue Eigenschaften ihres Forschungsobjektes entdeckt.
griffelkunst: Von 1996 bis 2002 hast Du in Karlsruhe Freie Kunst studiert, und im Anschluss daran warst Du Meisterschülerin bei Gustav Kluge. Wie hast Du in dieser Zeit Deine spezifische Technik entwickelt?
BB: Der Anfang war prinzipiell ein Versuch, mich von der Situation Pinsel, Farbe, Leinwand, also vom klassischen Malduktus zu lösen. Meine experimentelle Arbeitsweise hatte schon ziemlich früh mit Drucktechnik zu tun. Wegweisend waren beispielsweise Versuchsreihen mit kleinformatigen Bildern: Ich habe ein Bild mit Ölfarbe gemalt, das Bild dann auf die nächste Bildfläche abgedruckt und auf dem Abdruck weitergearbeitet usw. In einer Kettenreaktion habe ich so dem Zufall Platz eingeräumt. Damit hat es angefangen. Dann begann ich mit Styrodur zu arbeiten, einem Isoliermaterial, das ich mir auf Baustellen gesucht habe, um daraus Druckstöcke zu schneiden. Ein Jahr lang hatte ich die Möglichkeit, während des Studiums in Barcelona zu arbeiten, wo ich in leerstehende, abbruchreife Jugendstilvillen eingestiegen bin und vorhandene Wandfresken mit meinen eigenen Druckstöcken weiterbearbeitet und mit meinen Bildern kombiniert habe. Das schichtweise Drucken ist in dieser Zeit zu einer meiner bevorzugten Techniken geworden.
griffelkunst: Du hast in den vergangenen fünf Jahren in Hamburg verschiedene Ateliergemeinschaften initiiert. Zurzeit arbeitest Du in Hamburg-Bahrenfeld in einem alten Industriegebäude. Wie wichtig ist Dir der Austausch mit anderen Künstlern?
BB: Bevor ich nach Hamburg gekommen bin, habe ich in Basel in einer großen Ladenfläche gelebt und gearbeitet. Das hatte seine Vorteile, ganz zurückgezogen, ganz auf sich selbst zurückgeworfen zu sein. 2006 bin ich nach Hamburg gekommen und hier in einer sehr großen Ateliergemeinschaft, dem SKAM, gelandet. Erst da wurde mir bewusst, dass ich auch sehr ausgehungert nach künstlerischen Kontakten war. Sich über die Arbeit auszutauschen ist schon eine wichtige Sache. Leider mussten wir nach einem Jahr wieder raus, weil das Haus einem Bürogebäude weichen musste. Meine zweite Atelierfläche wurde mittlerweile auch abgerissen, und jetzt habe ich eine neue gegründet, zusammen mit einer Freundin und zehn weiteren Künstlern. Das ist eine große Fabrikhalle, und wir sind nur durch Stellwände voneinander getrennt. Da merke ich allerdings schon, dass ich es auch sehr schätze, mich zurückziehen zu können. Ich brauche das Gefühl, allein zu sein bei der Arbeit, ganz abtauchen zu können.
griffelkunst: Neben Deiner Malerei stehen Arbeiten, die Du im Hochdruck entwickelst, einer eher unmalerischen Technik. Gibt es Parallelen zwischen Deiner Malerei und Deinen druckgraphischen Arbeiten?
BB: Es gibt viele Parallelen. In beiden Techniken gehe ich sehr auf die Materialität der Farbe ein. In der Malerei sind es Hilfsmittel wie Klebebänder, die mir erlauben, den freien Fluss der Farbe zu kontrollieren. Im Druck sind es die klar definierten Formen, die ich aus Styrodur schneide, die eine klare Komposition vorgeben. Innerhalb der einzelnen Formen tun sich aber auch hier eigene organische Farbwelten auf. Der Farbauftrag auf die Druckplatten ist niemals homogen, weil ich die Farbe mit der Walze direkt auf der Druckplatte mische. Dadurch sind die Farbflächen meist gebrochen und die tiefer liegenden Schichten scheinen durch. Es wird auch gemischt, indem ich mehrfach übereinander drucke. Ich arbeite nicht an der Druckpresse, sondern bei mir hängt der Druckträger, das Papier, an der Wand und ich drucke von Hand im Stehen. Grundsätzlich wird der Bildraum erstmal durch eine schwarze Fläche gefasst. In diesem Rahmen fängt das Bild dann an, von einer ersten formalen Setzung aus über die Fläche zu wachsen. Dieser Vorgang ist an sich ein malerischer Prozess, nur ist in meinem Fall der Druckstock der Pinsel. Insofern unterscheide ich nicht zwischen dem Drucken und der Malerei, zumal sich die Techniken auch in manchen Fällen überschneiden. Es wird auch auf die gemalten Bilder gedruckt und Druckstö-cke werden übermalt. Im Grunde ist für mich alles aus einem Guss. Es ist alles Malerei. Malerei ist das Thema.
griffelkunst: Ich sehe hier Deine Skizzenbücher mit assoziativ montierten Photographien, Bilder alltäglicher Wahr-nehmung. Sind diese Alltagsbeobachtungen Teil Deiner künstlerischen Arbeit?
BB: Alltagsbeobachtungen sind häufig so etwas wie Aus-
löser oder Initialzündungen für meine Bildideen. Beobach-tungen, die ich auf meinen Wegen durch die Stadt gemacht habe und die von sich aus schon etwas mit einem malerischen Prozess zu tun haben: korrodierte, mehrfach übermalte Stahloberflächen, verwitterte Bretterzäune oder Autospuren im Schnee, die ich aus meiner Hochhauswohnung im Winter regelmäßig dokumentiere. Ich suche ganz allgemein Veränderungsprozesse, egal, ob sich etwas im Entstehen oder im Verfall befindet. Was ich auch sehr spannend finde, sind Baustellen, also Orte, die sehr organisiert sein müssen, damit sie funktionieren, aber gleichzeitig für den Nichteingeweihten den Eindruck von Chaos erwecken. Solche Zwischenzustände wandern dann in die Bilder ein als Denkanstöße, die einen Malprozess auslösen. Das Bild wird etwas Eigenständiges, es ist nicht mehr gebunden an das Initial, auch wenn man die Bildidee zum Teil noch erahnen kann. Ich überlasse es gerne dem Betrachter, seine Assoziationen zu entwickeln, darum gebe ich auch keine Titel.
griffelkunst: Legst Du Deine Kompositionen vorher fest oder sind es eher spontane, intuitive Setzungen?
BB: Es gibt Bilder, die aus einer vorher festgelegten kompositorischen Idee entstehen und dann auch einen sehr strengen Rahmen auferlegt bekommen. Als eine formale Setzung sind meine Bilder häufig horizontal getrennt, oder ich lege ein stark geometrisches Raster an. Innerhalb dieses Rahmens versuche ich dann aber dem Zufall Raum zu geben, sodass auch viele freie Prozesse ablaufen können. Diese Bilder sind klar konzipiert. Das müssen sie wohl auch sein, weil sonst durch den freien Fluss der Farbe der Zufall ganz das Ruder übernehmen würde. Aber es gibt auch Bilder und Drucke, die manchmal über Wochen oder Monate wachsen, die sich noch stark verändern können in der Entstehung.
griffelkunst: Für uns hast Du 2010 eine Edition realisiert, für die Du erstmalig mit einer Druckerei zusammenarbeiten musstest. Sicherlich eine Herausforderung für eine Künstlerin, die bislang ihre Unikatdrucke allesamt selbst gedruckt hat. Wie war die Zusammenarbeit mit Angela Schröder und Jürgen Zeidler von der Saal-Presse im brandenburgischen Bergsdorf?
BB: Beide sind ganz hervorragend auf diese für mich neue Situation eingegangen. Ich habe die Drucke vor Ort entwickelt und während des Andruckprozesses noch an den Druckstö- cken gearbeitet und die Farben festgelegt. Die eigene Arbeit in fremde Hände zu geben, erfordert, dass man ganz klare Regieanweisungen gibt und in meinem Fall versuchen muss, den malerischen Charakter, der für meine Arbeiten so wichtig ist, auch in der Serie erkennbar zu machen. Dazu gehört auch, dass die Drucker Fehlstellen und Abweichungen zulassen. So etwas widerspricht eigentlich dem Druckerhandwerk, in dem es um eine gewisse Perfektion geht. Ich denke aber, dass uns das sehr gut gelungen ist.
Birgit Brandis lebt und arbeitet in Hamburg. Das Interview für die griffelkunst führte Brigitte Bedei im März 2011.