Schaltplan eines Sauerkirschbaums
Da ist vor allem ihre Technik. Bei den großen Papierarbeiten ist das eine Drucktechnik, bei der sie aber nicht mit festen Druckstöcken und Presse arbeitet. Stattdessen benutzt sie große Styrodurplatten wie Stempel – jene Platten, die im Bau als Isoliermaterial benutzt werden. Das Ergebnis hält die Schwebe zwischen Malerei und Druckgrafik. Weil deckende Farben flächig aufgetragen werden, tendieren die Bilder zum Plakativen. Weil sie gern leuchtende Grundfarben einsetzt, tendieren die Bilder ins Märchenhaft-Fantastische. Zuweilen gibt sie dieser Tendenz auch inhaltlich nach und deutet etwa Beinchen und Schnabel eines pummeligen Vogels an. Dann wieder konterkariert sie den Zug ins Poetische, indem sie die Bildfläche einem rigorosen Raster von Punkten und Linien unterwirft. Dieser Einbruch einer »mathematischen« Ordnung scheint aber nur dazu da zu sein, um spielerischen Prozessen ein neues Spielfeld zu geben. Unversehens findet der Spieltrieb auch hier seinen Weg.
Wie überhaupt sobald einmal ein bestimmtes Bildprinzip gesetzt ist, die Elemente eine kolossale Eigendynamik entfalten. Ein Punkt-Linien-Raster entpuppt sich als Spielwiese, auf der gerade und gekurvte Formen wie Flipperkugeln ihre Bahnen ziehen. Die Linien eines Gitterrasters fügen sich zu so etwas Ähnlichem wie dem Schaltplan eines Sauerkirschbäumchens. Woanders machen spitzwinklige Formen auf Blumenstrauß oder Kopf, ohne je ihre Abstraktheit aufzugeben.
Um das Verwirrspiel zu komplettieren, druckt die Künstlerin nicht selten den weißen »Hintergrund« als Letztes oben drauf. Was nun eigentlich »Hintergrund« und was »Motiv« ist, schwankt dann, je nachdem, wie man hinguckt.
In ihren »Kratzbildern« ist es ähnlich: Da legt sie mehrere Schichten Ölkreide übereinander und deckt alles am Ende mit Schwarz oder Weiß ab. Die Bilder entstehen, indem sie Teile der oberen Schichten wieder mit einer Rasierklinge abkratzt.
Auch da ergibt sich der paradoxe Effekt, dass der »Bildhintergrund« tatsächlich zuoberst liegt. Und man macht die spannende Beobachtung, dass in den Ritzungen der obersten Schicht eine große Strukturiertheit herrscht – während jedoch in den Farben, die so plötzlich wieder freiliegen, ein fluktuierendes Chaos ausbricht.
So bringt Brandis letztlich ihre Schicht- und Drucktechnik sowie bestimmte, je nach Bild unterschiedliche Grundformen in einen spielerisch-experimentellen Zusammenhang. In diesem toben sie ihre jeweiligen Tendenzen aus und balancieren sie gegeneinander aus. Zusammen mit dem Zufall als weiterem Mitspieler in diesem Spiel wachsen unter Brandis’ Händen Bildwelten von wunderlichem Reiz und soghafter Dynamik.
Manchmal ist dieser Sog auch selbst Thema: Wie in einem Bild, in dem weiße Rechteckflächen eine Art Wurmloch im Raumzeit-Kontinuum andeuten, das alles verschlingt.
17.06.2015