Zeitungsartikel Südwestpresse

Allgemein 8. Februar 2016

Der Zufall malt mit

„Es war das Blau“, heißt die neue Ausstellung im Ulmer Kunstverein. Die Hamburger Malerin Birgit Brandis zeigt vielfarbig abstrakte Bilder, die aus dem Spiel von Kontrolle und Zufall entstehen.

LENA GRUNDHUBER |

„Ein bisschen wie Goldwaschen“ sei so ein Arbeitsprozess, sagt Birgit Brandis und funkelt aus ihren neugierigen Augen. Nur ganz minimal dürfe man so ein Bild bewegen, dann geschehe es, dass die Pigmente der Farbe sich selbst auswaschen. Übrig bleibt eine Struktur, die nicht nur an Erosionen erinnert: „Das ist im Kleinen das, was in der Natur passiert“, sagt Brandis – ob man nun ein „Seestück“ in ihrem leuchtend blauen Diptychon sehen will, wie Ausstellungsleiterin Monika Machnicki, überlässt sie dem Betrachter.

Brandis bleibt lieber im himmelhaft Ungefähren und nennt so ein Bild und die Ausstellung drumherum einfach: „Es war das Blau“. Ein märchenhaft offener Satz, der tatsächlich nur so tut, als folgte jetzt eine Erzählung – in Wirklichkeit geht es derzeit im Ulmer Kunstverein um Malerei, um ihre Materialität und Prozesshaftigkeit.

Brandis, 1976 in Heidelberg geboren und an der Kunstakademie in Karlsruhe ausgebildet, muss eine geradezu kindliche Freude am Spiel haben, wenn man sich im Raum so umsieht. Da liegt Farbe auf dem Boden verschüttet, im Fließen erstarrt. „Bodenschüttungen“ heißt so ein Werk dann konsequenterweise, das in seinen quasi-geologischen Strukturen die Anmutung von Satellitenaufnahmen über Island hat.

Zwischen die ehrwürdigen Holzsäulen des Schuhhaussaals hat Brandis, die heute in Hamburg lebt und arbeitet, frech eine eigene bunte Säule namens „Malefiz“ aus geschichteter Wellpappe gestellt, um auf die „Säulenübermacht“ zu reagieren. Oder, um es freundlicher zu formulieren, eine „Hommage“ an den Saal und eine Verbindung zwischen ihren Bildern und dem Raum zu schaffen. In kleinformatigen „Wachskratzereien“ schließlich tut sie nichts anderes als das, was Kinder machen, wenn sie aus übereinandergelegten Farbschichten ein Bild herauskratzen.

Schnitzen, kerben, kleben, schichten, drucken, Brandis‘ Malerei ist körperliche Arbeit. Die handwerkliche Erfahrung ist überall sichtbar, und anders würde wohl kaum etwas herauskommen bei diesem Spiel von Kontrolle und Zufall. „Es gibt immer eine Spielregel, die ich befolge“, sagt Birgit Brandis. Am Bilderpaar „Mit“ und „Tit“ – wie Stalagmit und Stalaktit – ist dieses Prinzip einfach und unmittelbar erkennbar: Beide Male hat Brandis einen Farbverlauf in Bewegung versetzt, einmal fließt er hinunter, daneben steigt er hinauf, in Kurven einer geordneten Linienstruktur entgegen. Der Zufall malt mit, und wird zugleich gekontert, indem zum Beispiel gedruckte Elemente eingefügt werden. Der Druck kann auch zur Spielregel für ein ganzes großes Gemälde werden. Dann spiegelt sich ein komplexes schwarzbraunes Liniengeflecht im Hochdruck auf der Bildunterseite.

Wie ein Rätsel sieht das aus – ein Rätsel, das sich im Bild selbst schon einlöst.

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